Soundcheck

Wolfgang Kirschner

Foto: Privat

Damit die Leserinnen und Leser sich ein Bild davon machen können, ob es mit dem eingangs erwähnten Sound auch hinhaut, möchte ich in dieser Rubrik in unregelmäßigen Abständen Texte von mir einstellen. Das kann eine kurze, schräg-humorige Geschichte sein oder vielleicht auch nur ein kleines Nonsens-Gedicht.

Beginnen wir mit einem etwas älteren Text, der jedoch beklemmend aktuell ist:

Kolumne spezial

Eben habe ich die 15 Uhr-Tagesschau angeguckt. Es ist ja gerade so viel los in der Welt, dass einmal am Tag schauen gar nicht richtig ausreicht. Es war das Übliche: Mord und Totschlag im Nahen Osten, das Neueste zur Brexit-Aufführung im Lande Shakespeares, Populisten hier, Populisten dort, und zum Schluss, als die Wetteraussichten kamen, hatte ich innerlich fast schon wieder abgeschaltet.

Aber nur fast, denn plötzlich war irgendetwas anders als in den zehn Minuten davor. Ein mildes, optimistisch grün schimmerndes Licht schien mein Wohnzimmer zu erhellen, in welchem noch der dunkle weltweite Irrsinn von eben herumwaberte. Ich kapierte nicht gleich, was es war, doch als ich zum Bildschirm hinüberblickte, ging mir das Herz auf:

Als Hintergrundbild bei der Tagesschau aus Hamburg war Tübingen zu sehen. Jawohl, unser Tübingen. In voller Bildschirmgröße. Und noch dazu in meiner Lieblingsansicht, na ja, unser aller Lieblingsansicht wahrscheinlich, nämlich die mit dem Hölderlinturm und den traurig schönen Weiden davor, den Stocherkähnen, die sanft am grünen Ufer des sommerlich träge dahin fließenden Neckars schaukeln …

Ich rieb mir die Augen und erwog einen Augenblick lang die Möglichkeit einer Tele-Halluzination, aber nein, es war wahr. Unser winziges Weltstädtle flimmerte via Hansestadt in mein Derendinger Wohnzimmer. Wow.

Es war das erste Mal, dass ich das so sah. Da musste jemandem in Hamburg ebenfalls das Herz aufgegangen sein, denn nach den ganzen negativen Nachrichten aus aller Welt war diese Tübingen-Impression die reinste optische Erlösung. Ein Licht in der globalen Finsternis. Eine Perle in dunkelster Miesmuschelumgebung.

Okay, das war jetzt etwas dick aufgetragen, ich höre auch schon die Einwände à la: Was für ein Gedöns um ein Postkartenmotiv!

Ha, von wegen! Solcherlei Einwände können nur von außerhalb kommen oder von notorischen Bruddlern, die immer etwas zu nörgeln haben. Sofern es die überhaupt gibt in unserem schönen Städtle, das immerhin Modell für den deutschlandweiten Wetterbericht stehen darf. Nee, Nörgler gibt es hier keine, ach wo.

Und dann, Leute, was mich besonders stolz macht, ist, dass bei dem Standbild gar nicht dabeistand, welche berühmte Stadtansicht denn gerade zu sehen war. Ich schaute genau hin, nirgends war Touri-Tour Tübingen oder so etwas zu lesen. Und das kann nur bedeuten, dass man in Hamburg davon ausgeht, unsere Schokoladenansicht sei den meisten Zuschauern ohnehin bekannt. So wie jeder weiß, dass er gerade Paris vor sich hat, wenn er das spitze Stahlgerippe in den Himmel ragen sieht, oder Moskau, wenn er die goldenen Zwiebeltürme erblickt – so weiß beim Anblick des Hölderlinturms eben jeder, dass er es mit Tübingen zu tun hat. Na bitte. Das ist doch was.

Gut, es war ein kurzer Wetterbericht, zwei, drei Sätze bloß, und folglich war unser Türmchen nur wenige Sekunden eingeblendet, aber immerhin, ich habe es gesehen und das hat mich so euphorisch gestimmt, dass ich es hier gleich mitteilen muss. Auch wenn ich ursprünglich über etwas ganz anderes schreiben wollte. Doch wie das im Medienalltag so ist, bei wichtigen unvorhergesehenen Ereignissen gibt es in der Regel eine Sonderberichterstattung, ein sogenanntes Spezial beim ZDF oder einen Brennpunkt bei der ARD. Alle anderen Themen verschieben sich entsprechend nach hinten.

Also nenne ich meinen Text zum Tübinger Tagesschau-Gastspiel doch einfach Kolumne spezial. Und das eine oder andere ursprünglich geplante Thema, beispielsweise Der Mann, der sein Handy geheiratet hat, kommt vielleicht irgendwann mal später.

Bitte? Schon wieder höre ich die Nörgler, von wegen das sei Schwachsinn, so etwas gebe es nicht? Tja, tut mir leid, aber das gibt es sehr wohl. Im Land der unbegrenzten Unmöglichkeiten hat tatsächlich einer sein Smartphone geehelicht. In einer kleinen Kapelle in Las Vegas. Wie es heißt, trug die Braut weiß in Gestalt einer schmucken Schutzhülle. Ob die Ehe in selbiger Nacht auch vollzogen wurde, wollte ich noch recherchieren, doch dann kam mir Tübingens Auftritt bei der Tagesschau dazwischen. Nun ja, da waren die Prioritäten unter all den  Kuriositäten natürlich klar. Tübingen first, Tübinga z’erscht. Logisch, oder?

© Wolfgang Kirschner, Tübingen

IMPRESSUM